"Eisernes Training und solideste Lebensweise
waren die Ursache meines Erfolges."

Walter Rütt 1957

Der Weg zum Ruhm

Auf Anraten von August Lehr, dem Weltmeister des Jahres 1894, wurde Walter Rütt bereits mit 17 Jahren Profi und zählte zunächst im Rheinland, bald in ganz Deutschland, zu den beliebtesten Fahrern. Sein freundliches Auftreten, der couragierte Fahrstil und seine Fairness kamen beim Publikum an.

Er erwies sich als würdiger Nachfolger Willy Arends, dessen Stern langsam verlosch und zeigte keine Angst, wenn er auf die internationale Extraklasse traf. Nach seinen ersten Siegen über Thorvald Ellegaard, Henry Mayer und Frank Kramer erfolgte der endgültige Durchbruch und 1904, als er unter anderem Sieger im bedeutenden "Grand Prix de la République" wurde, galt er als der beste Flieger der Welt.

Im gleichen Jahr heiratete er Charlotte Nord, die Schwester des dänischen Sprinters Orla Nord. Während der gemeinsamen Schiffsreise zu einer Bahn-Tournee nach Australien wurde ihr Sohn Oskar geboren. Da das Schiff unter englischer Fahne lief, galt Oskar Rütt als englischer Staatsbürger, was später zu Schwierigkeiten mit den Behörden geführt haben soll.

An dieser Australienreise nahm auch die Familie Thorvald Ellegaards teil, da er ebenfalls für die Rennen verpflichtet worden war. Während eines Aufenthaltes in Adelaide kam es zu einem tragischen Unglück. Victor Ellegaard, der zweijährige Sohn, stürzte aus einem Hotelfenster und erlag kurz darauf seinen schweren Kopfverletzungen. Walter Rütt berichtete später, daß er dort zum ersten Mal in seinem Leben ansehen musste, wie ein Mensch starb.

Am Start zum Fliegermatch: Ellegaard, Rütt, Schürmann, Moretti


Foto: Elektra Paul Hoffmann, Berlin

Ein Leben aus dem Koffer

Kaum ein Tag verging, an dem sich nicht irgendwo in Europa die Radsprinter gegenüberstanden und erbittert um die Gunst des Publikums und hohe Preisgelder kämpften. Die Anreise der Teilnehmer zu den Rennen erfolgte ausschließlich über das Schienennetz der Eisenbahn. Welchen Aufwand die Profis dabei in Kauf nehmen mussten, verdeutlicht ein Rückblick im "Illus" vom 9. Juni 1929.

"Am Freitag, dem 3. Juni 1904, schlug Walter Rütt auf der Pariser Buffalo-Bahn den Franzosen Edmond Jacquelin in drei Läufen. Noch am gleichen Abend setzte er sich in den Eisenbahnzug, traf am Samstagmorgen in Köln ein, fuhr gleich weiter, war abends in Hamburg und landete Sonntagmorgen, also nach ununterbrochener Eisenbahnfahrt von 36 Stunden, in Kopenhagen, wo er auf der Ordrupbahn ein Match gegen Thorvald Ellegaard zu bestreiten hatte. Der Däne, auf seiner Heimatbahn schier unbesiegbar und dazu noch vollkommen frisch, wurde vom ehrgeizigen Rütt glatt in zwei Läufen geschlagen."

Ausführliche Berichte über die Wettkämpfe las man in Deutschland in der "Rad-Welt", einem in hoher Auflage gedrucktem Magazin, das täglich erschien.

Walter Rütt auf der Radrennbahn von Duisburg 1902


Foto: Sporthochschule Köln / Nachlass Fredy Budzinski

Walter Rütt beim Training auf der Radrennbahn des
"Duisburger Sportplatz an der Mercatorstraße" im Jahr 1902.

John Stol und Walter Rütt 1907 auf der Radrennbahn von Newark


Foto: Culver Service, New York

Walter Rütt und John Stol auf der Radrennbahn von Newark
beim Training für das New Yorker Sechstagerennen 1907

Von New York nach Berlin

In den USA erlebten unterdessen die Sechstagerennen einen ungeheuren Aufschwung. Die Idee, Mannschaften aus jeweils zwei Fahrern, welche sich beliebig ablösen durften, 144 Stunden lang auf einer kleinen Rennbahn fahren zu lassen, fand riesiges Interesse und füllte die Hallen.

Der Amerikaner Floyd Mac Farland hatte die Fähigkeit Walter Rütts, auch über lange Distanzen hohes Tempo fahren zu können, erkannt und überredete ihn zur Teilnahme am New Yorker Sechstagerennen 1906. Die deutsch-amerikanische Mannschaft erreichte einen guten dritten Rang. Im Folgejahr gelang Walter Rütt an der Seite des Holländers John Stol der erste Sieg im Madison Square Garden und die Zeitungen in den USA überschlugen sich mit Lobeshymnen. 1909 fuhr das Paar Rütt-Clark die Ehrenrunde, 1912 gewann Joe Fogler an der Seite des Deutschen.

In Berlin, das 1909 sein erstes Sechstagerennen sah, zeigte man 1910 reges Interesse, Walter Rütt für einen Start zu verpflichten. Dieser lebte seit vier Jahren in Frankreich, da er seiner Gestellungspflicht zum Wehrdienst nicht nachgekommen war und aus Angst vor einer Verhaftung nicht wagte, die deutschen Landesgrenzen zu passieren. Auf diplomatischen Wegen wurde eine Begnadigung Rütts erreicht.

Die Berliner Presse meldete überschwänglich: "Walter Rütt ist gekommen! Das, was sich als Gerücht während der Weihnachtsfeiertage verbreitet hatte, ist Wahrheit geworden, der große Rheinländer ist eingetroffen um nach langen Jahren den Kampf auf einer deutschen Bahn gegen die andringenden Ausländer aufzunehmen. Noch traut man seinen Augen nicht, aber Rütt ist bereit, sich dem Starter und später den Militärbehörden zu stellen. O edles Deutschland, freue Dich, dein Walter kühn und 'rütt'erlich."

An der Seite von Jack Clark gewann er nicht nur die Austragung 1910, sondern mit John Stol auch die nächsten drei Rennen an der Spree. 1911 siegte das Paar außerdem in Frankfurt. Jahre später bezeichnete Walter Rütt seinen ersten Berliner Sechstagesieg als denjenigen, der ihn gefühlsmäßig am meisten berührt habe.

Die Frage, welches das schwerste Sechstagerennen seiner Karriere gewesen sei, beantwortete er später in einem Artikel, den Sie hier in vollem Wortlaut finden.

Am 26. Juli 1911 berichtete das britische Magazin "Cycling", Walter Rütt beabsichtige, den Stundenweltrekord anzugreifen, der zur fraglichen Zeit mit 41,520 km vom Franzosen Marcel Berthet gehalten wurde. Es blieb wohl bei dem Vorsatz, in entsprechenden Statistiken wird der Name des Rheinländers jedenfalls an keiner Stelle erwähnt.


Walter Rütt Statistik Sechstagerennen


Walter Rütts bedeutendste Erfolge bei Sechstagerennen

INFO

Der "Schleudergriff" oder das Anschieben des Partners am Rücken als Mittel der Ablösung waren den Teilnehmern der frühen Sechstagerennen unbekannt. Der Fahrer, der das Rennen aufnehmen wollte, stellte sich mit seinem Rad an den Rand der Bahn und stieg erst dann auf, wenn sein Partner ihn erreicht und berührt hatte.

Es gab damals auch noch keine Punktewertung. Rundengleiche Teams an der Spitze bestritten nach Ablauf der 144 Stunden allein das Finale. Hierzu trat aus jeder Mannschaft ein Fahrer nach eigener Wahl zu einem Spurtrennen über 10 Runden an, das in der damaligen Presse gerne als "Entscheidungsschlacht" bezeichnet wurde.

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